Wie Hund und Katz

Liebe Leserinnen und Leser,

vor einigen Monaten habe ich mich an einer Ausschreibung für eine Spendenanthologie beteiligt. Leider hat es meine Geschichte „Wie Hund und Katz“, in der das euch sicher noch bekannte Prinzesschen die Hauptrolle spielt, nicht in die Anthologie geschafft. Daher dürft ihr sie heute hier lesen. Die vorherigen Prinzesschen-Geschichten findet ihr hier: https://books2cats.wordpress.com/prinzesschen/.

Wie Hund und Katz

Prinzesschen öffnete erst ein Auge zu einem schmalen Schlitz, dann das andere. Ihre Schwanzspitze zuckte nervös hin und her und das Fell sträubte sich leicht. Durch das einen Spalt geöffnete Fenster drang ein jämmerliches Miauen und Fauchen. Aufgeregtes Kläffen begleitete das Wehklagen.

Prinzesschen schaute in den Garten. Noch nie hatte sie das Haus verlassen. Sie war das, was man einen Stubentiger nannte. Ihre Familie, die Mayers, sorgte sich darum, sie könne nicht schnell genug mit ihren kurzen krummen Beinchen vor einem der Autos flüchten, die ständig durch die Wohnsiedlung rasten. Von Geburt an war sie mit diesen unförmigen Beinen gestraft, die ihr in den ersten Lebensjahren ein Leben im Tierheim beschert hatten. Die Mayers waren ihr persönliches Wunder. Denn die hatten darauf bestanden, genau sie mit nach Hause zu nehmen und nicht etwa die langbeinigen und stupsnasigen Schönheiten in den anderen Zwingern.

Ein erneutes Miauen und ein antwortendes Gebell rissen Prinzesschen aus ihren Gedanken. Sie erhob sich von ihrem Lieblingsschlafplatz auf der Fensterbank. Dann streckte sie sich, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Sie entdeckte den Verursacher der Katzenmusik auf dem Apfelbaum der Mayers. Es war Anton, der wohlgenährte Nachbarskater. Er hockte auf einem Ast etwa zwei Meter über dem Boden und fauchte und maunzte im Wechsel. Sein rotes Fell sträubte sich derart, dass jedes einzelne Haar zu erkennen war. Unter dem Baum sprang Nachbarsdackel Waldi wie ein Gummiball auf und ab und kläffte. Waldi war der Schreck aller freilaufenden Katzen im Wohngebiet, da er gern allein herumstreunte und jeden jagte, der ihm in die Quere kam. Heute war Anton an der Reihe.

Prinzesschen hatte Mitleid mit ihm. Wie konnte sie ihn bloß aus seiner misslichen Lage befreien? Anton war zwar oft schlecht gelaunt, vor allem, weil seine Familie ihn ständig auf Diät setzte, damit er weiterhin durch die Katzenklappe passte. Seine Übellaunigkeit hatte er schon oft an ihr ausgelassen und sich über sie lustig gemacht, weil ihre größte Freiheit die war, am offenen Fenster zu sitzen und sehnsüchtig in den Garten zu schauen. Trotzdem würde sie ihm helfen. Aber wie sollte sie das anstellen? In ihrem Haus gab es keine Katzenklappe und die Terrassentür war geschlossen. Der Spalt im einzigen offenen Fenster war mit einem Gitter gesichert, damit sie sich nicht hindurchquetschte.

Sie sprang von der Fensterbank hinunter und tapste in den Flur. Die Zweibeiner benutzten immer diesen Hebel an der Tür, um ins Freie zu gelangen. Doch der lag in scheinbar unerreichbarer Höhe. Sie würde es dennoch versuchen. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und sprang nach oben. Doch sie verfehlte die Klinke um etliche Zentimeter. Mehrmals versuchte sie den Sprung, aber immer erfolglos. Ratlos schaute sie sich im Flur um und ihr Blick fiel auf den Schuhschrank. Von dort aus konnte sie es schaffen. Nach drei Versuchen hing sie mit beiden Vorderpfoten an der Klinke und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit.

Vorsichtig steckte sie ihren Kopf durch die Haustür. Ihr wurde schwindlig bei dem Gedanken an die vor ihr liegende Freiheit. Sollte sie es wagen? Waldi kläffte immer hysterischer. Von Anton war kein Laut mehr zu hören. Langsam setzte Prinzesschen eine Pfote vor die andere auf den ungewohnten Untergrund, erst der gepflasterte Weg, dann der Rasen, der sie nach hinten in den Garten und somit zum Apfelbaum des Schreckens führte. Immer wieder blieb sie stehen und atmete tief durch. Sie bog um die Ecke und beobachtete das Geschehen aus sicherer Entfernung. Wie rettete man eine Katze vor einem wahnsinnigen Hund?

Erst einmal würde sie Waldi ablenken. Dann war es Anton vielleicht möglich, vom Baum herunterklettern und sich in Sicherheit zu bringen. Sie miaute laut, geradewegs so, als ob sie bei den Mayers um Futter bettelte. Waldi verstummte augenblicklich und schaute zu ihr herüber. Seine Zunge hing aus dem Maul wie ein rosafarbener Lappen und in seinen Augen blitzte die Jagdlust auf.
Bevor Prinzesschen einen weiteren Gedanken fassen konnte, stürzte er auf sie zu. Seine Dackelbeine waren ähnlich kurz und krumm wie ihre, aber er war dennoch wesentlich schneller als sie. Sollte sie davonlaufen oder sich ihm im Kampf stellen? Warum hatte sie sich nicht vorher einen besseren Plan überlegt?

Kurz vor ihr bremste Waldi ab und rutschte dann auf dem Bauch auf sie zu. Noch immer hing ihm die Zunge aus dem Maul, aber der verrückte Blick war aus seinen Augen gewichen. Er schaute sie fragend an und setzte sich vor sie hin.
»Hast du denn überhaupt keine Angst vor mir?«, fragte er. »Hat es dir etwa die Sprache verschlagen, Mieze?«
Das hatte es in der Tat, denn Prinzesschen hatte sich bisher nur mit anderen Katzen unterhalten, aber noch nie mit einem Hund. Hunde gehörten seit jeher zu ihren Feinden. Das hatte sie im Tierheim gelernt.
Sie räusperte sich, was sich so anhörte, als würde sie ein Fellbüschel herausbringen.
»Natürlich hatte ich Angst. Du bist ein gemeiner Kerl und ärgerst gern Katzen. Aber ich konnte doch nicht zulassen, dass du Anton so einen Schrecken einjagst und er sich nicht mehr vom Baum hinunter traut.«
Für Außenstehende mochte es ein urkomisches Bild abgeben, wie der Dackel vor der kleinen schwarzen Katze hockte und sie anbellte und diese ihm in ihrer eigenen Sprache antwortete.
Hinter ihr raschelte es leise. Prinzesschen drehte sich um. Anton schlich durch das Gras und fixierte Waldi. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen. Waldi winselte.
»Es… Es… Es tut mir leid. Manchmal geht es mit mir durch. Da muss ich nur eine Katze sehen und schon will ich sie jagen.«
»So, leid tut dir das jetzt also?«, fauchte Anton und sprang auf Waldi zu. Er hatte die Krallen ausgefahren und war bereit, sie den Hund spüren zu lassen. Dieser taumelte erschrocken zurück und warf sich auf den Rücken. Seine Rute klemmte er zwischen die Hinterbeine.
»Was soll das denn jetzt?«, wendete sich Anton an Prinzesschen.
»Keine Ahnung, warum er jetzt wie ein Käfer auf dem Rücken liegt.«
Sie stupste ihn vorsichtig mit der Pfote an.
»Das ist die Hundeart, euch um Verzeihung zu bitten.«, jammerte Waldi.
Anton fauchte und sträubte erneut sein Fell. Prinzesschen schnurrte und rieb ihren Kopf an seinem.
»Komm, Anton, gib dir einen Ruck. Du siehst doch, wie traurig er ist. Es tut ihm wirklich leid.«
»So einfach soll ich es ihm machen? Er setzt seinen Dackelblick auf und alles ist vergeben?«
Prinzesschen seufzte. »Du solltest über deinen Schatten springen und ihm verzeihen. Damit zeigst du mehr Größe, als wenn du jetzt die beleidigte Leber…, ich meine, die beleidigte Katze spielst.«
Waldi legte den Kopf schief. Sein treuer Hundeblick hätte einen Eisberg zum Schmelzen gebracht.
»Fein! Ihr habt mich weichgekocht. Ich verzeihe dir. Aber eins musst du mir versprechen.«
Waldi nickte eifrig. »Natürlich. Ich verspreche dir alles.«
»Du jagst ab sofort keine Tiere mehr. Keine Katzen, keine Vögel, keine Eichhörnchen, niemanden mehr. Versprichst du mir das?«
»Aber… Aber…«, stammelte Waldi und seine Nase zuckte.
Anton runzelte die Stirn.
»Hab ich es doch gewusst. Du meinst es gar nicht ernst mit deiner Reue.«
»Doch, doch«, antwortete Waldi. »Aber du verlangst ganz schön viel von einem Jagdhund. Und der bin ich nun mal.«
Anton rollte mit den Augen. »Meine Vorfahren waren auch Mäusejäger und siehst du mich jagen?«
Prinzesschen war den Streit leid und stellte sich zwischen die beiden Streithähne.
»Können wir uns nicht auf einen Kompromiss einigen? Waldi jagt nicht mehr in unserem Revier. Wenn er mit seiner Familie wegfährt, darf er dort nach Herzenslust herumstreunen und Katzen erschrecken.«
Anton holte tief Luft und hielt dem Dackel seine Pfote hin.
»Akzeptiert.«
Waldi schlug ein und bellte freudig.

»So, was stellen wir jetzt an?«, fragte Prinzesschen. »Schließlich werde ich nach diesem Ausflug so schnell nicht mehr hinaus dürfen.«
»Ich habe eine Idee«, sagte Anton und flüsterte ihnen etwas ins Ohr.
Gemeinsam zogen sie los, um das Wohngebiet zu erkunden. Nach einer Weile hob Anton die Nase in die Luft. Auch Waldi schnüffelte aufgeregt.
»Riecht ihr das?«, fragte der Kater. »Das kommt aus der Küche von der alten Frau Miesmann.«
Prinzesschen hatte Mühe, mit ihren beiden Freunden Schritt zu halten, die auf den vielversprechenden Duft zueilten. Anton sprang mit einem Satz in das Küchenfenster und kam eine Minute später mit einem großen Stück Schinken im Maul zurück. Frau Miesmann schrie und schimpfte, aber da waren die drei Freunde schon um die Ecke verschwunden.

Wenig später lagen sie satt und zufrieden unter dem Apfelbaum. Der Schinken hatte ausgezeichnet geschmeckt.

Text: Susanne Sommerfeld

16 Gedanken zu „Wie Hund und Katz

  1. Wie Hund und Katz…
    Das erinnert mich an den Dackel, den mein Mann und ich die Katze die wir mit in die Beziehung brachten.
    Der Hund hat sie auch immer gejagt, bis sie ihm mal einen schönen Kratzer auf der Nase verpasste. Danach ist er ihr aus dem Weg gegangen.
    Süsse Geschichte.

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