Tag 4: Schreiben zu Bildern

Die Autorin Jutta Reichelt lädt zu ihrer virtuellen Schreibwerkstatt ein. Ich habe mich  für die Aufgabe „Schreiben zu Bildern“ entschieden. Jutta hat das Bild „Cape Cod Morning“ von Edward Hopper ausgewählt, welches mich zu folgender kurzen Geschichte inspiriert hat:

 

Edward Hopper_Cape Cod Morning

Patricias Blick verfolgte den Kommissar noch lange. Erst als sie sicher war, dass er nicht zurückkommen würde, wagte sie es, ihren Platz am Fenster zu verlassen. Dabei liebte sie den Ausblick. Wenn man die Augen ein wenig zusammenkniff, konnte man sich einbilden, das Meer am Ende des Horizonts zu sehen.

Edward hatte das Haus gleich nach der Hochzeit für sie beide ausgesucht. Wie verliebte Teenager hatten sie sich in den ersten Monaten durch alle Zimmer gejagt und sich überall geliebt, sogar in der engen Abstellkammer neben der Küche. Zuerst hatten sie darüber gelacht, dass sie nicht schwanger wurde. Es war ja noch so viel Zeit.

Doch als sie ihren vierzigsten Geburtstag feierte, war ihr nicht mehr nach Lachen zumute. Sie gab vor, Edwards Seitensprünge nicht zu bemerken, den Duft des fremdem Parfüms nicht zu riechen und seine abweisende Art im Schlafzimmer als Rücksicht auf ihre Gefühle zu sehen. Wie dumm sie gewesen war. Ihre besten Jahre hatte sie damit verbracht, einem Leben hinterher zu trauern. Währenddessen hatte sie ihr Leben verpasst.

Nun war sie Anfang Fünfzig und saß allein in dem viel zu großen Haus. Stille tönte ihr aus jedem Raum entgegen. Nur der dicke rote Kater Apollo war ihr geblieben. Faul lag er in Edwards Lieblingssessel und genoss die Sonnenstrahlen auf seinem Pelz. Patricia strich ihm über das weiche Fell. Apollo schnurrte unaufhörlich wie eine Nähmaschine.

Sie würde sich langsam Gedanken machen müssen, wie es weitergehen sollte. Noch war nicht gewiss, dass der Kommissar sie für unschuldig hielt und sich einer anderen Spur zuwendete. Sie hatte ihrer Meinung nach recht glaubhaft die trauernde Ehefrau gespielt, sogar ein paar echte Tränchen waren geflossen. Der Kommissar hatte ihre Hand getätschelt und schien sich dabei sichtlich unwohl in seiner Haut zu fühlen. Nach einigen Fragen war er aus dem Haus geflüchtet und ohne sich umzublicken in den Wagen gestiegen. Patricia vermutete, dass er nicht viel Erfahrung mit weinenden Frauen hatte. Edward hätte ihm den einen oder anderen Tipp geben können.

Doch Edward würde nie wieder jemandem Ratschläge erteilen. Dafür hatte sie gesorgt. Natürlich hätte sie auch einfach die Scheidung einreichen können. Aber warum sollte sie sich für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich fühlen und auf die liebgewordenen Annehmlichkeiten verzichten? Trotzig schüttelte sie den Kopf. Die Mail mit der Suchanzeige für die örtliche Zeitung hatte sie bereits vorbereitet. Wie lange würde es dauern, bis Edward vergessen war?

Sie trat in den Garten hinter dem Haus und bewunderte den gleichmäßig gewachsenen Rasen. Nur ein einsames Gänseblümchen störte die Idylle. Patricia bückte sich und riss es aus.

 

Text: Susanne Sommerfeld

5 Gedanken zu „Tag 4: Schreiben zu Bildern

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